Gebäude mit Geschichte – Karstadt am Hermannplatz in Neukölln
Der Hermannplatz ist ja eigentlich gar kein Platz im Sinne einer Keimzelle eines Kiezes, sondern war ursprünglich eine Kreuzung, an der es ein Wirtshaus gab, wo man auch die Pferde wechseln konnte. Dieser ruppige Charme hat sich bis zum heutigen Tag bewahrt – daran hat auch das 1927 erbaute glamouröse Karstadt-Gebäude nichts geändert.
Vom Rollkrug und Rixdorf
Neukölln muss man mögen – das war wohl immer schon so. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts galt der Berliner Vorort Rixdorf, aus dem das spätere Neukölln entstand, als Vergnügungsviertel und das Wirtshaus Rollkrug (an der heutigen Kreuzung Karl-Marx-Straße und Hermannstraße) genoss einen durchaus zweifelhaften Ruf. Das bunte Jahrmarkts- und Budenleben von Rixdorf hat einst Theodor Fontane in seinem Roman „Irrungen, Wirrungen“ beschrieben. Der alte Rollkrug wurde 1907 abgerissen, der neue Rollkrug, in dem heute u.a. eine Filiale der Deutschen Bank untergebracht ist, steht seit 1988 unter Denkmalschutz.
Babylon Berlin
Etwa ab 1860 wurde die etwas zu groß geratene Kreuzung, die den Begriff „Platz“ eigentlich nicht wirklich verdient, mit Mietshäusern bebaut – allerdings wurden diese Mitte der 1920er Jahre bereits zum Teil wieder abgerissen, um dem U-Bahn Bau sowie dem Bau des Karstadt-Gebäudes Platz zu machen. Das Karstadt-Gebäude galt zu seiner Entstehung als eins der größten und modernsten Warenhäuser weltweit: auf neun Stockwerken und ca. 72.000 Quadratmetern waren anfangs knapp 4000 Mitarbeiter beschäftigt. Es wurde in nur 15 Monaten Bauzeit fertiggestellt. Die vertikale Gliederung und die Muschelkalkfassade sollte an die Hochausarchitektur New Yorks erinnern – spätestens, wenn im Dunkeln die Lichtbänder und Lichtsäulen angingen, wurde diese Assoziation lebendig.
Ende und Neuanfang
Bereits 1933 entließ Karstadt nahezu alle jüdischen Angestellten. Zwei leitende Karstadt-Angestellte und NSDAP-Mitglieder hatten ausgehandelt, dass der Konzern einen umfangreichen Kredit erhalten sollte, wenn man sich freiwillig „arisiere“. Die Anpassung an die Diktatur bescherte Karstadt die wirtschaftliche Genesung und 1938 den zweifelhaften Titel ‚Vorstufe zum nationalsozialistischen Musterbetrieb‘. Das im Krieg unbeschädigte Gebäude wurde kurz vor Ende des Krieges im Mai 1945 von der SS gesprengt, damit die im Keller gelagerten Vorräte im Wert von fast 30 Millionen Mark nicht den Russen in die Hände fielen. Dabei gab es mehrere Tote. Aber schon im Juli 1945 wurden in provisorisch hergerichteten Räumen Lebensmittel, Spielwaren, Bekleidung, Möbel und Glaswaren verkauft. Der Wiederaufbau erfolgte in mehreren Schritten 1950, 1955, 1976 und 1998. Im klassischen Sinne hübsch oder an den Glanz des Originalbaus konnte das Flickwerk freilich nicht heranreichen.
Alles auf Anfang?
Der Karstadt-Konzern ging im Laufe der Jahrzehnte durch viele Hände, aktuell ist er im Besitz der Signa Holding. Ebendiese verkündete überraschend im Januar 2019, dass man eine originalgetreue Rekonstruktion der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Fassaden samt der markanten Türme plane. Die zusätzliche Geschossfläche soll u. a. für Wohnungen genutzt werden, die derzeit in Neukölln bitter benötigt werden. Dies würde den Hermannplatz sicherlich optisch erheblich aufwerten – allein, den Hermannplatz interessiert das nicht. Er wird sich wohl weiterhin der Aufgabe, ein „echter“ Platz zu sein, verweigern.
Bildquelle: Wikipedia
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