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Speckwürfel in der Peripherie

Neue Hoffnung für dörfliche Strukturen, sobald die Infrastruktur passt und ein „schnelles Internet“ verlegt ist

Seit Corona wird immer häufiger von zuhause gearbeitet. Viele vermuten ein Dauermodell, auch wenn die Pandemie überstanden ist. Immobilien im ländlichen Raum ohne lästige Pendelei werden somit attraktiver. Ob es sich dabei um eine neue gesellschaftliche Bewegung handelt, lässt sich noch nicht sagen. Eine aktuelle Studie vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung stellt zumindest eine stetig wachsende Nachfrage junger Menschen ab 30 Jahre fest, die von der Stadt ins ruhigere Landleben wechseln wollen. Viel hängt dabei an der nötigen Infrastruktur und dem passenden Umfeld, ist von Maklern des IVD Nord zu hören.

Detlef Horn, Inhaber des Familienunternehmens Horn Immobilien in Neubrandenburg, sieht sich aktuell als Makler in einer Gewinnerregion. Sein Firmensitz Neubrandenburg ist die Kreisstadt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern.

Die drittgrößte Stadt im südlichen Ostseeraum mit ca. 65.000 Einwohnern habe alles Nötige an Infrastruktur zu bieten, einschließlich Schulen und Kitas und viel Platz. Grundstücke mit bis zu 3.000 qm und mehr seien im Umland keine Seltenheit und inklusive renovierungsbedürftiger Immobilien sei man mit bis zu 80.000 Euro schon dabei, sagt Horn.

Viele suchen diese Art der „Idylle“, viel Natur und keine Parkplatzsorgen, kann Horn die verstärkte Nachfrage durch junge Pärchen bestätigen. Wo früher etwa 50 bis 70 Objekte dauerhaft im Bestand gewesen seien (manche davon bis zu drei Jahren), sind es nach Angaben von Horn aktuell höchstens noch 30 Objekte. Außerdem seien etwa 25 Immobilien bereits reserviert, der abschließende Kauf scheitere lediglich am fehlenden Notartermin, so stark sei aktuell der Run auf eine passende Immobilie.

Nordbrandenburg als Sehnsuchtsort Speckwürfel in der Peripherie

Außer der guten Infrastruktur und den gegenüber der Hauptstadt Berlin vergleichsweise preiswerten Angeboten spricht laut Horn die Lage für sich. Immerhin sei man schnell an der Ostsee, zum Beispiel in Ahlbeck, in einer guten Stunde in der polnischen Großstadt Stettin und in ca. 1,5 Autostunden in Berlin. So was spreche sich rum, die Nachfrage steige schon seit etwa fünf Jahren deutlich an. Horn: „Ab ca. 250.000 Euro koste ein freistehendes Einfamilienhaus in Neubrandenburg. In sehr guter Lage und mittlerer Ausstattung seien ca. 380.000 Euro fällig.“ Ein immer noch attraktiver Preis.

Für Tom Hübner, geschäftsführender Gesellschafter von Immobilienliebling in Rostock, ist das Phänomen der Immobiliensuche junger Familien, die von teuren innerstädtischen Lagen ausweichen auf das günstigere Umland, nichts Neues. Seit den 90er Jahren sei dieses Kaufverhalten festzustellen. Dort, wo man beim frühstücken Rehe beobachten kann, sei ein wesentlicher Treiber der schon vorhandene Breitbandanschluss, so Hübner.

Mit der Ankündigung der Bundesregierung, gerade in ländlichen Räumen die technische Infrastruktur zu verbessern, wachse auch die Bereitschaft, dort dauerhaft zu investieren. Die alte renovierungsbedürftige Immobilie könnte rund zehn Jahren nach der aktuell weiter forcierten Netzanbindung – der dann in der Regel weitere Infrastrukturmaßnahmen folgen – zu einem lukrativen Investment werden, vermutet Hübner.

Auch IVD-Präsident Jürgen-Michael Schick bestätigt, dass aktuell die Nachfrage nach Wohnraum gerade in kleinen Städten und Gemeinden auch corona-bedingt wieder steigt. Homeoffice und weitere flexiblere Arbeitsplatzmodelle sowie günstigere Mieten bei größeren Wohnflächen machen das Wohnen in kleineren Städten wieder attraktiver. “Das passende Angebot muss dafür vielerorts nicht neu geschaffen, sondern lediglich dem Markt wieder zugeführt werden“, sagt Schick.

„Die Attraktivität dieser Gemeinden ist das Zünglein an der Waage, mit der Bestände wieder reaktiviert werden können. Es besteht die Chance, kleine Städte und Dörfer wieder zu beleben und die Metropolen dadurch zu entlasten“, sagt der IVD-Präsident.

Auf in die Speckgürtel

Carsten Henningsen, Inhaber des Geltinger Versicherungs- und Immobilienkontor, stellt durch die stark gestiegenen Preise in den Großstädten ebenfalls seit geraumer Zeit den Drang der Menschen ins Umland fest. In seinem Falle von der Landeshauptstadt Kiel in die zunehmend in den Fokus rückende Region in der Mitte Holsteins und nahe der Eider. Die Preise seien hier „bezahlbarer“, die von Städtern vielfach beklagte Verschlechterung der Lebensqualität in der City eine weitere Triebfeder, erklärt Henningsen.

Hinzu kommt der in Schleswig-Holstein beschlossene Ausbau mit Glasfaser „bis zur letzten Milchkanne“, womit Heimarbeit zum Teil erst in bislang ausgedünnten ländlichen Regionen des Bundeslandes ermöglicht wird. Henningsen ist sich ziemlich sicher, dass die vielfach positiven Erfahrungen der Unternehmen mit der Auslagerung der Arbeit von der Firma in heimische Büros auch nach Corona Bestand hat. Das stärke dann gerade Kommunen im Speckgürtel der Städte. Gutes Beispiel ist nach Aussage Henningsens Norderstedt in der Peripherie Hamburgs. Dort entstehe ein bunter Mix an Nachfragen, ob junge Familiengründer oder Ältere, die für Wachstum sorgten. Corona wirke hier laut Henningsen eher beschleunigend.

Die neue Landlust 4.0 hat auch Philipp Hunold erfasst, der schon seit längerem die Idee hat, die Hauptstadt Berlin zugunsten seiner früheren Heimat zu verlassen. Der 35jährige arbeitet als Projektmanager für Digitales und kann im Prinzip von überall arbeiten. Ihn zieht es vom angesagten Stadtteil Friedrichshain in den erweiterten Speckgürtel auf einen ehemaligen Gutshof im brandenburgischen Prädikow. Mit ihm wollen nicht nur die Partnerin und die beiden kleinen Kinder gehen – bis zu 60 Erwachsene mit Kind und Kegel werden auf einem der größten Vierseiterhöfe Brandenburgs platzfinden.

Laut einer umfassenden Studie des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung gemeinsam mit „neuland21“ aus dem Jahr 2019, zieht es verstärkt Menschen zwischen 30 und 49 Jahren wieder häufiger in ländliche Regionen. Die Studie untersuchte die Fragestellung „Wie digitales Arbeiten Städter aufs Land bringen kann“.

Während IVD Makler Horn den Trend absolut nachvollziehen kann, ist es für Tom Hübner aus Rostock nicht das Thema. Die Studie gibt beiden Recht. Ein großer Teil der neuen Wohn- und Arbeitsprojekte ist im näheren und weiteren brandenburgischen Umland von Berlin entstanden – die in der Hauptstadt extrem gestiegenen Preise die treibende Kraft. In ostdeutschen Regionen hingegen, in denen die Städte selbst noch ausreichend Platz bieten, sind gemeinschaftliche Wohnprojekte von kreativen und digital affinen Menschen auf dem Land weiter selten. „In Sachsen-Anhalt und Sachsen finden sich bislang nur wenige, in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen so gut wie keine der neuartigen Initiativen“, so ein Ergebnis der Studie.

So unterschiedlich die Motivation sein mag, häufig ist aber bezahlbares Wohnen der wichtigste Faktor. Hinzu kommt der Wunsch zu alternative Wohnerlebnissen jenseits des Mainstreams. „Berlin ist in den letzten Jahren voller, beengter und deutlich teurer geworden. Vor allem der Platz und die Freiräume auf dem Land locken die Berliner ins ländliche Brandenburg“, heißt es beim Think tank  „neuland21“.

Einige der digitalen Pioniere sind die „Neu-Prädikower“ wie Hunold. Sie verwirklichen ihre Ideen in alten Fabriken und Mühlen, Klosteranlagen und Plattenbauten der LPG – oder eben Landgütern. Seit Dezember 2016 gehört der Gutshof Prädikow einer Stiftung. Sanieren und umbauen wird ihn die Mietergenossenschaft Selbstbau in Berlin, die den Bewohnern bezahlbares und selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen will. „Berlin wird immer teurer und die letzten Freiräume werden mehr und mehr zubetoniert“, schreibt Vorstand Peter Weber. Das Umland werde somit immer wichtiger, nicht allein für Pendler als Schlafstätte, sondern als Wohn- und Arbeitsstätte.

Ohne Infrastruktur geht nichts

Trotz aller Absichtserklärungen der Politik, dass spätestens 2018 selbst im letzten Winkel Deutschlands die Menschen mit Geschwindigkeiten von 50 Megabit pro Sekunde im Internet unterwegs sein können, offenbart ein Blick in den Breitbandatlas weiterhin große Lücken – vor allem in entlegenen und dünn besiedelten Regionen.

Gemeinschaftlichen Wohnen und Arbeiten auf dem Land braucht aber schnelles Internet, schon allein um den beruflichen Alltag realisieren zu können. „Auch wenn die neue Landbewegung den entlegenen Regionen gewiss nicht flächendeckend aus der Misere helfen wird, kann sie für einzelne Dörfer eine große Chance sein“, verbreiten Silivia Hennig und Gabriele Gruchmann von „neuland 21“ Optimismus.

Dass „das Homeoffice auch eine Chance für ländliche Regionen ist“, vermutet auch Michael Voigtländer, Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Wer nur zwei Mal die Woche ins Büro kommen müsse, könne auch weitere Wege zum Pendeln in Kauf nehmen. Corona könnte hier wie schon beim Thema Digitalisierung ein Beschleuniger gesellschaftlicher Entwicklungen werden.

Fazit: Stimmt die Infrastruktur mit schneller Internetanbindung, können selbst verwaiste Dörfer neu belebt werden. Gesucht werden vor allem von Familiengründern nicht nur Neubauten am Ortsrand, sondern auch alte, restaurierungsbedürftige Objekte.

Und: Wenn Berlin noch in Wurfweite sprich innerhalb von ca. 60 Fahrminuten per ÖPNV erreichbar ist, scheint das attraktiver als in anderen „eher abgehängten“ Regionen in Ostdeutschland, wo die Nachfrage in die dortigen Städte bislang wenig ausgeprägt ist.

Allerdings zeigt die Berliner Studie auch, dass vor allem junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren weiter in die Städte ziehen, etwa für ihre Ausbildung oder ihr Studium. Bleiben werden auch die Singlehaushalte, die nach statistischen Erhebungen bereits etwa 50 Prozent der innerstädtischen Haushalte ausmachten.

Junge Menschen ab ca. 30 Jahre könnten aber, wie es in einer Pressemitteilung des Berlin-Instituts heißt, zu „Speckwürfeln in der Peripherie“ werden. Wahr ist indes auch, dass sich das alles am ehesten Büroarbeiter leisten können, denn in der produktionsverarbeitenden Industrie ist das Homeoffice nicht drin.

Von Peter-Georg Wagner


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